Meditation und Schulungsweg
im Interview
Im Grunde ist jede Bemühung in Meditation auch ein Geburtsvorgang des Ich, auch wenn das oft nicht bewusst gemacht wird. Darum geht es eigentlich. Also jede imaginative oder inspirative Erkenntnis ist eigentlich auch eine Selbsterkenntnis, weil das Ich dann nicht mehr nur etwas Subjektives, sondern Ich und Welt gleichzeitig ist.
Interview mit Corinna Gleide
Meditation und Schulungsweg
geführt am 26. Juli 2016, im Rudolf Steiner Haus Stuttgart
Sebastian Knust: Lass uns in das erste Themengebiet einsteigen: Was machst du beruflich, wie bist du dorthin gekommen? Was sind deine Motive, die dich zur anthroposophischen Meditation geführt haben?
Corinna Gleide: Ich bin 1964 geboren, und dann in die Waldorfschule gegangen. Ich bin in einer Familie mit vier jüngeren Geschwistern groß geworden; meine beiden Eltern waren Waldorflehrer. Ich hatte schon als Kind, sogar als relativ kleines Kind, bestimmte innere Wahrnehmungen, die die Erwachsenen nicht hatten. Das war eine zentrale Kindheitserfahrung, dass ich Dinge wahrgenommen habe, die meine Eltern irgendwie nicht mitgekriegt haben. Darüber habe ich mich damals sehr gewundert und es hat mich schon damals viel zum Nachdenken gebracht.
Nach der Waldorfschulzeit habe ich ein wissenschaftliches Studium an der Uni angefangen. Ich studierte in Tübingen, später noch in Berlin und Leeds, Nordengland. Ich hatte ein starkes Motiv, in die „nicht-anthroposophische“ Welt einzutauchen. Ich wollte lernen, wie man dort denkt und ich wollte in meinem eigenen Denken und in meiner Urteilsfähigkeit selbständig werden. Ich hatte ja den anthroposophischen Hintergrund, und ich wollte mir da ein eigenes Handwerkszeug und ein eigenes Denken, ein eigenes autarkes Bemühen ausbilden. Es war aber sehr schmerzhaft an der Uni, weil vieles nicht so war, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich hatte gehofft, dort aus der Perspektive der Fächer die ich studierte in die Welt des Denkens und der Wissenschaft eintauchen zu können. Vieles war aber nur ein Aneinanderreihen und Wiedergeben von inhaltlichen Versatzstücken. Aber irgendwie ich habe dieses Studium zum Abschluss gebracht.
Dann habe ich geheiratet, war über 20 Jahre verheiratet, habe mit meinem Mann angefangen anthroposophisch zu arbeiten, angefangen Kurse zu geben. 2002 haben wir zusammen das D. N. Dunlop Institut begründet, um unserer anthroposophischen Erwachsenenbildungstätigkeit ein Fundament zu geben. Ab 2007 haben wir verstärkt auch Meditationskurse angeboten. Es hat sich eine reichhaltige Seminar- und Vortragstätigkeit in Deutschland, Österreich und in der Schweiz entwickelt. In den letzten Jahren arbeite ich auch verstärkt in anthroposophischen Ausbildungsstätten, im Waldorflehrerseminar in Mannheim, im Erzieherseminar in Mannheim, neuerdings im Erzieherseminar hier in Stuttgart. Das ist mein äußerer, knapper Lebenslauf.
In der inneren Entwicklung war es so, dass ich schon mit 9 oder 10 Jahren- und dann verstärkt seit der Pubertät- den Impuls hatte, mich selber zu schulen. Ich wusste nicht so recht, wie das geht, aber irgendwie vom Impuls her war das da und punktuell habe ich das auch gemacht. Ich erinnere mich zum Beispiel an die innere Arbeit im Zusammenhang mit sog. Tugenden. Das war wie so ein mittelalterlicher Mönchsimpuls. Oder z.B. Rückschauübungen habe ich auch schon sehr früh gemacht- ohne damals zu wissen, dass es das auf dem anthroposophischen Weg auch gibt. In dieser Zeit habe ich auch den „Prolog“ des Johannes Evangeliums meditiert.
In der Spätpubertät bis Mitte 20 habe ich eine Zeit der Suche gehabt, wo ich herausfinden wollte, wo in der Welt Impulse sind, die mit meinen eigenen korrespondieren. Ich hatte damals keine inhaltliche Berührung mit der Anthroposophie. Ich machte noch einen Bogen darum herum. Nicht aus Ablehnung, sondern weil der Impuls mich selbst zu finden so stark war. Und auch, weil ich spürte, dass mir der damals ja doch stark wissensvermittelte Zugang zur Anthroposophie nicht genügte. Ich arbeitete in dieser Zeit intensiv mit in einem studentischen Arbeitskreis zur „Philosophie der Freiheit“ von Rudolf Steiner, da mir der erkennende Zugang zu Mensch und Welt sehr am Herzen lag.
Als ich 24 Jahre geworden war, kam der Impuls, mich mit Rudolf Steiner, der Anthroposophie und ihrem Meditationsweg zu beschäftigen schlagartig und wie ein Geistesblitz in mich hinein. Ich zog nach Berlin. Mein Unistudium habe ich in dieser Zeit hintangestellt und habe mich intensiv mit der Anthroposophie beschäftigt. Ich hatte nun einen sehr starken Willen, thematisch in vieles einzudringen. Begegnungen und Gespräche mit Freunden und nahen Menschen, insbesondere mit Ralf Gleide, meinem späteren Mann, spielten dafür eine wichtige Rolle.
Als ich Anfang 20 war hatte ich ziemlich starke geistige Erlebnisse, die aber eher über mich kamen. Es waren z.T, außerkörperliche Erfahrungen und es hat in der Folge Jahre, z.T. Jahrzehnte gedauert, bis ich die Erlebnisse verstand. Das hatte damals noch nichts mit einem inneren Weg oder mit einer Kontinuität des Sich- Schulens zu tun, sondern es waren eigentlich Gnadenmomente. Die aber auch schwer zu verkraften waren. Seelisch war ich zum damaligen Zeitpunkt gar nicht auf der Stufe, das irgendwie halten oder weiterentwickeln zu können. So haben sich diese Eindrücke und Erfahrungen dann wirklich erst im Zuge eines regelmäßigen meditativen Lebens- ab Anfang 30- weiterentwickeln können und ich konnte beginnen, sie allmählich für die Welt und die Menschen fruchtbar zu machen. So waren diese geistigen Erfahrungen mit Anfang 20 wie eine Art Vorblick auf etwas, worum es später gehen sollte.
Mehrere Motive, die auch für meine heutige Schulungstätigkeit als Meditationslehrerin wichtig sind, haben in diesen damaligen Lebenserfahrungen ihren autobiografischen Hintergrund: 1.) dass es sehr wichtig ist, die seelische Eigenentwicklung durch den Schulungs- und Meditationsweg der Anthroposophie in ein rhythmisches und atmendes Verhältnis zu bringen mit geistigen Erfahrungen, die gemacht werden. Selbstentwicklung und geistige Erfahrung sind nicht voneinander zu trennen. 2.) wurde damals durch die Erfahrung sehr klar, wie umfassend und ungeheuer vielschichtig und andersartig die geistige Welt ist. Und dass das denkende Erfassen derselben die erste- auch notwendige- Stufe darstellt, der aber weitere Stufen folgen müssen. Insofern wurde der Schulungs- und Meditationsweg der Anthroposophie für mich persönlich- und später dann auch beruflich- zum zentralen Anliegen. So wurde es mir zum Lebensmotiv, durch Meditation, Schulung und in der Folge auch durch geistige Forschung, mir selbst und für andere Zugänge zu erarbeiten, durch die reale Erfahrungen des Lebendigen, Seelischen und Geistigen in der Welt gemacht werden können.
Ich möchte noch erwähnen, dass es drei Persönlichkeiten in meinem Umkreis gab, die mir beim Finden meines Weges in unterschiedlichen Zeitepochen direkt oder indirekt geholfen haben, sei es durch ihr Vorbild, sei es durch Gespräche und Freundschaft. Das erste ist Brigitte Barz, langjährige Pfarrerin der Christengemeinschaft in Tübingen, dann Jörgen Smit, den ich Ende der 80er Jahre auf den Jugendtagungen am Goetheanum erleben durfte, und dann Sergej Prokofieff, der heute, wo wir das Interview machen, seinen 2. Todestag hat. Mit ihm war und bin ich sehr verbunden.
Warum bin ich in dieses „Boot“ der Anthroposophie eingestiegen? Also, wenn die Anthroposophie keinen Schulungs- oder Meditationsweg hätte, sondern einfach aus Vorträgen von Rudolf Steiner bestünde, wäre ich damals nicht halb so interessiert gewesen. Es ist ein sehr starkes Lebensmotiv, dass ich durch Meditation und auch geistige Forschung - und damit auch immer mehr und mehr aus eigener Erfahrung - das Geistige erarbeiten kann, um auch andere Menschen dahin zu führen.
Thematischer Hintergrund, Forschung
Sebastian Knust: Du bist also eingetaucht in die Anthroposophie, zuerst erkenntnistheoretisch, und dann viel umfassender. Du hast deine Erfahrungen vertieft, bzw. bist neue Forschungswege gegangen. Welche Projekte hast Du in Angriff genommen, wie bist du methodisch vorgegangen?
Corinna Gleide: Also es gibt eigentlich eine ganze Reihe von Gebieten, in die ich mich schon vertieft habe und über die ich auch Bücher und Artikel geschrieben habe. Im Grunde genommen geschieht so eine Vertiefung und ein Forschungsprozess auch jedes Mal, wenn ich ein neues Seminar oder einen Vortrag konzipiere. Es geht dann immer ein Stück weiter voran und gewinnt an Tiefe. Aber hinsichtlich unseres Themas hier, nämlich Meditation und Schulungsweg, sind es eigentlich drei ineinander spielende Themen, die wie den Hintergrund, aber auch so etwas wie die Ermöglichung dafür darstellen, dass wir heute den Zugang zum Geistigen wirklich haben können. Das erste Thema ist der „Heilige Gral“, der mit einem zweiten Thema, nämlich der Geburt des „höheren Ichs“, des ewigen Ichs im Menschen zusammenhängt. Beide Themen sind zentrale Meditation-und Forschungsthemen über viele Jahre gewesen. In meinen vertiefenden Meditationsseminaren arbeiten wir auch unmittelbar am Erfahrungszugang zu diesen Themen. Ein drittes Gebiet betrifft das Wesen von Michael und von Christus. Ich verstehe die Beziehung zu beiden nicht im konfessionellen Sinne, sondern im Sinne einer lebendigen Beziehung, die immer mehr vertieft werden kann.
Sebastian Knust: Du hast nun vier Begriffe genannt: der „Heilige Gral“, das „höhere Ich“ und „Michael“ und „Christus“. Könntest du erklären, was du darunter verstehst? Gerade der „Heilige Gral“ ist ja zunächst ein mythologischer Begriff, der sehr unterschiedlich benutzt und gedeutet wird…
Corinna Gleide: Mit dem Heiligen Gral bin ich zunächst historisch, also durch die Literatur, vor allem durch den mittelalterlichen Autor Wolfgang von Eschenbach und seinen Roman „Parzival“, in Berührung gekommen. Ich habe aber auch schon sehr früh begriffen, dass der Gral nicht nur ein literarisches Motiv ist. Schon bei Wolfgang von Eschenbach selber, später dann aber auch bei Rudolf Steiner, wurde mir klar, dass es sich beim Finden des Gral um ein inneres, um ein spirituelles Geschehen handelt. Also es wird etwas als äußeres Bild dargestellt, was eigentlich im Inneren des Menschen geschieht. Mir wurde allmählich immer klarer- und da ist jetzt die Verbindung zum Meditations- und Schulungswegthema- wie die inneren Schritte der Selbstverwandlung- und Entwicklung im Denken, im Fühlen und im Wollen, eigentlich Schritte auf dem Weg zum Heiligen Gral sind. Das wurde für mich auch zum immer bewussteren Entwicklungsziel. Übungen, die z.B. in einem Buch wie „Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten?“ von Rudolf Steiner dargestellt sind, haben im Grunde genommen immer zwei Ziele: das eine Ziel ist z.B. das Wahrnehmenlernen geistiger Naturprozesse, wenn es z.B. um die Samenkornübung geht, oder auch des Eigenseelischen und des Seelischen anderer Menschen. Das zweite, aber unmittelbar mit dem anderen zusammenhängende Ziel, ist die seelische- geistige Entwicklung und Selbstverwandlung. Durch letztere kommt es überhaupt erst zu übersinnlichen Wahrnehmungen.
Insofern ist das Finden des heiligen Gral wie ein Hintergrundthema, das bei allem was mit dem Hellsichtigwerden gegenüber den Dingen in der Welt zusammenhängt immer mitschwingt und auch berücksichtigt werden muss. Das Finden des Gral ist unmittelbar verbunden mit der Geburt und dem Finden des höheren Ichs. Ich denke auch, dass es gerade in vielen auch sehr schwierigen Prozessen die wir heute in der Welt haben, da wo Krisenherde und Konfliktlinien sind, eigentlich um das Finden des Ichs geht. Das ist unser gegenwärtiges Menschheitsthema. Von dem ständig durch die digitalen Medien und die Identifikationen mit Parteien und Gruppierungen abgelenkt wird.
Sebastian Knust: Damit wären wir bei dem zweiten großen Thema: dem Auffinden des höheren Ichs. Kannst du das noch etwas ausführen?
Corinna Gleide: Ja gerne. Die ganze Meditationspraxis und die zunehmende Wichtigkeit, die Meditation und Schulung heute hat, ist nach innen hin mit dem Finden und Zur-Geburt- Bringen des höheren Ichs verbunden. Wie schon gesagt, ist diese Ichgeburt wie die Innenseite von dem, was nach außen, d.h. zur Welt hin, die hellsichtige Wahrnehmung der Natur oder der Menschen ist. Denn die Organe, durch die das geschieht, also die Chakren, sind die Organe des Ichs. Meistens wird allerdings das ganze Meditationsthema gerade andersherum in den Fokus genommen. Nämlich so, dass die Wahrnehmungen, die man macht, im Zentrum stehen. Das ist zunächst auch natürlich. Denn das Ich- das liegt in seinem Wesen- erfährt sich zunächst mittelbar, nämlich durch die Erfahrung mit der Welt. Durch sie beginnt es sich selbst zu reflektieren. Das gilt sowohl für die im Sinnlichen gemachten Erfahrungen, als auch dann eben für die übersinnlichen Eindrücke und Erfahrungen. Das Ich schaut immer auf etwas hin, wozu es in Beziehung tritt. Es ist ein Beziehungswesen.
Nun ist aber wichtig, dass das, worauf es hinschaut, eben sehr viel mit dem Ich selber zu tun hat. In dem, was es wahrnimmt, steckt es als übersinnliches Wesen, d.h. als höheres Ich selbst darin. So ist der Kern der Meditation eigentlich das Ich des Menschen, das zur Geburt gebracht wird. Das ist aber ein Ich, das nicht das persönliche Ich meint, sondern das Ich, das Welt ist. So ist im Grunde jede meditative Bemühung auch ein Stück eines Geburtsvorganges, auch wenn das meistens nicht bewusst gemacht wird.
Anders gesagt: Jede imaginative oder inspirative Erkenntnis ist zugleich Selbsterkenntnis- in diesem weiten Sinne. Daraus ergibt sich natürlich ein Spannungsverhältnis, ja, ein Gegensatz. Denn das persönliche Ich begreift sich ja häufig gerade im Gegensatz zur Welt. Es erlebt die Welt als Objekt, und gerade nicht als sich selbst. Deswegen bedeutet „Schulungsweg“, diesen Gegensatz zu verringern. Und da sind wir wieder beim Gralsweg, der bedeutet, dass das persönliche Ich an sich arbeitet und im Denken, Fühlen und Wollen immer welthaltiger wird.
Sebastian Knust: Was war dann dein spezieller Weg mit der Fragestellung? Wie erging es dir dabei und gab es verschiedene Stationen?
Corinna Gleide: Wichtig scheint mir da zu sein, dass sich autobiografische Prozesse und Schulungsweg immer mehr aufeinander zubewegten. Ja, eigentlich identisch wurden. Die wirklich entscheidenden Dinge sind im Autobiografischen passiert – durch Begegnungen mit Menschen, aber auch durch Krisen. Das Welthaltigwerden des Ich führte- und führt immer wieder- durch einen Abgrund, durch einen Todesmoment hindurch. Nach solchen Erlebnissen habe ich dann gemerkt: Aha, das ist eigentlich das, was du schon 30 Jahre lang suchst. Das ist eigentlich der Gral.
Sebastian Knust: Könntest du noch auf das dritte Gebiet eingehen, auf die Christus-Erfahrung? Wie hängt diese mit dem höheren Ich zusammen?
Corinna Gleide: Wenn dieses Stirb- und Werde eintritt im menschlichen Leben, dann ist es so, dass Christus da drin wie mit anwesend ist. Es gibt den Moment des Sterbens und Loslassens, wo man als Mensch zunächst alleine ist und das ganz aus eigener Kraft bewältigen muss. Aber dann tritt in diese Ohnmacht der Christus mit seinem Lichtwesen ein und ermöglicht dieses Welthaltigwerden des Ichs. Man könnte es so sagen: Er ist eigentlich die Brücke und die Kraft die es ermöglicht, dass wir Menschen unser kleines, persönliches Ich überhaupt überschreiten können; dass wir nicht in dieses kleine Ich hineingebannt sind; das höhere Ich kann in uns Menschen nur geboren werden, weil Christus auf der Erde war.
Deswegen können Menschen heute zunehmend diese Erfahrung machen, die ich mit dem Welthaltigwerden des Ichs umschreibe: nämlich dass sie da, wo sie ihr persönliches Ich abstreifen, geistig gesehen selbst Welt werden. Das ist ja auch das, was Steiner eigentlich sagt. Dass das Ich, also das höhere Ich des Menschen, ihm eigentlich von außen entgegenkommt.
Sebastian Knust: …man wird dann im Laufe dieses Weges sozusagen immer weltumfassender, bekommt auf den unterschiedlichsten Gebieten dieses Erlebnis…
Corinna Gleide: Ja, man lernt das allmählich, würde ich sagen, gegenüber dem direkten Umkreis, aber auch gegenüber größeren Weltzusam-menhängen, das immer mehr zu realisieren und zu begreifen. Stück um Stück. Meditativ, aber auch im praktischen Leben. Denn das hat natürlich enorme Konsequenzen im Sozialen und überhaupt im Leben des Alltags. Die Frage, wie ich mit den anderen Menschen, mit der Natur und mit Weltzusammenhängen umgehe, stellt sich noch einmal völlig neu. Denn vom Alltagsbewusstsein her betrachte ich das alles ja als Außenwelt und als getrennt von mir. Manches ja sogar als fremd oder gar feindlich. Diese Perspektive ändert sich komplett.
Das meditative Üben hat viel mit Eigenaktivität zu tun. Es geht darum, dass die Teilnehmer lernen, im Innern schöpferisch Situationen zu gestalten. Sie sind selber tätig und werden gleichzeitig auch mitgestaltet von dem Objekt oder dem Mantra über das sie meditieren.
Lehre, Kurspraxis
Sebastian Knust: Ich schlage vor, dass wir zum nächsten Themengebiet kommen – zu deiner vielfältigen Kurspraxis. Du bietest sehr stark meditativ orientierte Kurse an. Mich interessiert, wie du vorgehst. Warum gibst du diese Kurse, wie ist deren Aufbau? Welche Methoden wendest du an und wie wirken sie auf die Teilnehmer?
Corinna Gleide: Ich führe ja neben vertiefenden Meditationsseminaren eine Einführung in anthroposophische Meditation durch, die sogenannte Meditationswerkstatt. Sie umfasst 6 Samstage und hat einen Aufbau, durch den die Teilnehmer die verschiedenen Gebiete und Themen anthroposo-phischer Meditation kennenlernen und in sie eintauchen können. Der erste Tag widmet sich den Nebenübungen. Der zweite der sog. Rosenkreuz-meditation. Das ist eine Bildmediation, an der man lernen kann, wie man solche Bilder vom Gedanken aus innerlich aufbaut. Dann gibt es einen Tag zur mantrischen Meditation, einen weiteren zu Meditationen, die von Sinneswahrnehmungen ausgehen. Da meditieren wir an Pflanzen, manchmal auch an Landschaften. Und dann gibt es zwei Einheiten, wo es in der einen um den Doppelgänger, den sog. Schatten geht; in der zweiten geht es um das Karma und um Karmaübungen. Das ist das Curriculum für diese Einführung. Neben inhaltlichen Darstellungen meinerseits wird der Großteil der Zeit für das gemeinsame Üben unter meiner Anleitung und für die Auswertung der Übungen verwendet. Es geht dabei darum, den Teilnehmern dabei zu helfen, immer selbständiger zu werden. Denn das ist das Ziel, die Menschen zu befähigen, das was sie innerlich tun und erleben selbst beurteilen und führen zu können.
Sebastian Knust: Um mal eins herauszugreifen: Könntest Du bitte beschreiben, was eine „Nebenübung“ ist?
Corinna Gleide: Nebenübungen sind Übungen von Rudolf Steiner, die begleitend zu Meditationen gemacht werden. Sie schulen das, was ich weiter oben die Seelenverwandlung genannt habe, also das Denken, Fühlen und Wollen. So ist die erste Nebenübung eine Denkübung, wo es um die Konzentrationsfähigkeit im Denken im Bezug auf einfache Gegenstände geht. Man nimmt sich einen einfachen Gegenstand vor und denkt darüber 5 Minuten konzentriert nach, ohne dabei assoziativ abzuschweifen. Die zweite Übung ist eine Willensübung, die sog. Handlungskontrolle. Die dritte Nebenübung ist die Gleichmuts- Übung. Da geht es darum, den Ausdruck der Gefühle, d.h. z.B. von Freude und Schmerz, zu kontrollieren. Es geht nicht darum, keine Gefühle mehr zu haben, sondern darum, dass Gefühle zu inneren Organen werden können. Die vierte Übung ist die Positivitätsübung und die 5. hat damit zu tun, dass man lernt, Unbefangenheit auszubilden. Die Nebenübungen werden abgesehen von der ersten eigentlich im Alltag gemacht. Denn Gleichmut, Positivität oder Unbefangenheit sind Reaktionsarten auf Dinge, die im Leben passieren.
Etwas Spezifisches von meiner Arbeit ist, dass ich Dinge, die man eigentlich nur im Leben üben kann, herein hole in die Übungspraxis in den Seminaren. Als Beispiel kann ich erzählen, wie wir mit der Gleichmutsübung umgehen. Ich bitte die Teilnehmer, eine Situation zu erinnern aus ihrem Leben, wo sie in die Luft gegangen sind, sich furchtbar aufgeregt haben oder überwältigt waren durch ein anderes Gefühl. Sie sollen die Situation und die eigene Reaktion so konkret als möglich rekonstruieren und nacherleben. Und dann besteht die Aufgabe, in Bezug auf diese Situation in ein inneres Gefühlsgleichgewicht zu kommen. Diese Schritte werten wir dann aus. Weitere seelische Beobachtungen widmen wir der Frage, was der Unterschied für das Bewusstsein ist? Wie bin ich mit der auslösenden Situation in Kontakt, wenn ich z.B. sehr wütend bin und das zum Ausdruck bringe? Wie ist mein Kontakt und meine Wahrneh-mungsfähigkeit, wenn es mir gelingt, die Wut nur innerlich zu spüren, nicht aber nach außen hin zum Bestimmenden zu machen?
Gerade diese Nebenübungen haben eine starke Bedeutung für ein gesundes Atmungsverhältnis zwischen der Biographie und dem Meditativen. Oder zwischen dem persönlichen und dem höheren Ich.
Sebastian Knust: Und wie ist Deine Vorgehensweise bei anderen Themen und Meditationen?
Corinna Gleide: In dem Seminar zur Rosenkreuzmeditation folge ich stark R. Steiners Angaben dazu in der „Geheimwissenschaft im Umriss“. Sie sind ausgesprochen lehrreich und man kann sehr viel an ihnen lernen. Besonders wichtig beim gedanklichen und Bildaufbau ist für mich die Gefühlsdimension des Ganzen. Das ist nämlich etwas, was viele heute nicht können und was nun im Zusammenhang mit Meditation wie neu gelernt werden kann: Nämlich den Gedanken und inneren Bildern Empfindungen entgegenzubringen. Diese stellen sich eigentlich nicht natürlich ein, weil sie nicht dem Schatz der natürlichen Sympathien oder Antipathien angehören, mit denen wir durchs Leben gehen. Diese Empfindungen wollen also innerlich wie neu geschaffen werden. Das Unterscheidenlernen von persönlichen Gefühlen die man hat und solchen Empfindungen sowie das Hineinfinden in dieses Empfindungshafte ist wichtig in meiner Arbeit.
Wenn ich jetzt zum Beispiel Pflanzen- oder Steinmeditationen mache, oder auch in der Landschaftsmeditation, dann gehe ich immer von der Sinnesbeobachtung aus. Es geht zunächst um das präzise Beobachten und Beschreiben dessen was man sieht. Dann kommen erst die nächsten Schritte. Der zweite Schritt führt auf die Lebensebene. In der Anleitung bitte ich die Teilnehmer, nun die Sinneswahrnehmung wie in inneren Prozessen mitzuvollziehen. Dadurch kommen sie in die Gebärdensprache z.B. der Pflanze, oder auch einer Landschaft, eines Baumes hinein. Es können auch innere Farben entstehen. Es entsteht ein Erleben, wo sie sich wie mit den Dingen verbunden fühlen. Das ist ein Gebiet, wo der Traum zuhause ist. Deswegen ist die präzise Beschreibung auf der sinnlichen Ebene auch sehr wichtig, denn sie bewirkt eine erhöhte Wachheit, die nun auf der zweiten Ebene benötigt wird.
Sebastian Knust: Wenn du in der Erkenntnis nun noch tiefer gehen würdest, in welcher Form wäre das?
Corinna Gleide: Bei Pflanzenmeditationen- aber z.B. auch in der Landschaftsmeditation- gibt es dann noch zwei weitere Übungsstufen. Zuerst verdichten wir die inneren Wahrnehmungen zu einer Empfindung. Ein Schneeglöckchen hat z.B. eine vollkommen andere Empfindung in sich zugrundeliegend als eine Pfingstrose. Das versuchen wir uns zu beschreiben. Das Schneeglöckchen hat z.B. mit der Gebärde und Empfindung der Bescheidenheit und Einfachheit zu tun. Die Pfingstrose ist da vollkommen anders. Auf einer vierten Stufe geht es dann um die Wesensdimension. Ihr nähern wir uns z.B. dadurch, dass ich die Teilnehmer einen Satz finden lasse oder ein Wort, was etwas davon zum Ausdruck bringt. Diese vierte Stufe hat aber zur Voraussetzung, dass wir in die Leere gehen. Die Bilder und die Empfindungen müssen zurückgelassen werden. Dann kann etwas Worthaftes oder ein Satz empfangen werden. Das sind dann aber nicht Worte und Sätze, wie wir sie im Alltag bilden, sondern solche, die wie eine schöpferische Bedeutung haben, in denen etwas Schaffendes ist.
Sebastian Knust: Das sind also Stufen, die bewusst herbeigeführt werden, nach dieser Fülle von Bildern…
Corinna Gleide: Ja genau. Wobei wenn es um die Frage geht, was ist mir wichtig, dann gehe ich nochmals zurück zu der Fülle der Bilder. Mir ist wichtig, dass diese Fülle der Bilder nicht einfach aufsteigt, sondern dass das mehr und mehr etwas wird, was vom Herzen und vom Denken her gestaltet wird. Das hat mit dem Übergang vom Kopf, also vom Denken, zum Herzen zu tun. Der ist für alles Meditative sehr wichtig und den schule ich sehr explizit. Denn das hat damit zu tun, dass neben dem Imaginativen, Bildhaften, auch die Stufe des Inspirativen eine Rolle spielt. Das ist mir methodisch sehr wichtig. Es macht einen Unterschied, ob einfach irgendwelche Bilder kommen, es kann dann nämlich auch sehr assoziativ sein, oder ob die Bilder auch bearbeitet und befragt werden in Bezug auf den Gegenstand um den es geht. Dafür spielt das Denken eine wichtige Rolle. Dadurch wird das Imaginieren etwas Schöpferisches, was sich in einem Wechselspiel zwischen auftauchenden Bildern und der inneren Beteiligung und Miterschaffung abspielt. Es macht einen Unterschied ob ich ein Blau erschaffe, oder zumindest daran beteiligt bin, oder ob es einfach aus meinen Bilderreichtum aufsteigt. So arbeiten wir daran, das Persönliche, das die Imagination hat, immer mehr in etwas Objektives hinein zu führen.
Sebastian Knust: Dir ist also wichtig, dass ich als Meditierender Mitgestalter dieser Bilder bin, gewissermaßen in einen inneren Dialog mit ihnen trete. Dieser Dialog findet aber nicht nur im Kopf statt sondern auch in der Herzgegend. Wie kann man sich das vorstellen und erleben?
Corinna Gleide: Ich stelle da bevor wir in die Meditation gehen oft konkrete Fragen. Auch zwischendrin, wenn die Teilnehmer erzählen, was sie innerlich erlebt haben und was aufgetaucht ist. Ich kanalisiere durch die Art, wie ich Fragen stelle. Manchmal korrigiere ich dadurch auch. Aber in dem Sinne, dass ich die Teilnehmer bitte, selbst noch mal prüfend und mit den entsprechenden Fragen an die Sache dran zu gehen. Also bevor es in den meditativen Prozess geht, stelle ich gezielt Fragen; die sind auch wirklich erforscht und erarbeitet von mir. Ich frage dann zum Beispiel nach einer bestimmten Farbe. Oder nach einer Gebärde oder Figur. Oder nach Weite oder Enge. Das gibt für die Meditation wie Richtlinien, was beobachtet werden kann, oder auch wo sich Korrekturen einstellen.
Bei Wort- und Satzmeditationen, wenn wir auf der zweiten Stufe uns mit dem Wort oder dem Satz verbinden, ist es sehr hilfreich, vom Sinn entsprechende, aber anders lautende Worte, oder auch vom Sprachlichen her verwandte Worte vergleichend mit zu Hilfe zu nehmen. Denn durch die Unterscheidung oder Entsprechung klären sich immer auch die Bilder. Also die gedankliche Präzision wird angewandt auf die Bilder die entstehen. Und eine Steigerung davon ist, dass man lernt, Bilder, Farben, Formen selber mit zu schaffen. Das kann man am Anfang noch nicht. Aber es ist wichtig, denn dadurch, dass man schöpferisch und dialogisch- selbstkorrektiv mit den Bildern umgehen lernt, werden sie immer aussagefähiger für die Sache, für die sie stehen. Diese Verifizierungsprozesse durch Fragearbeit sind sehr wichtig.
Sebastian Knust: …damit die Erlebnisse sozusagen ein reflektiertes Fundament bekommen…
Corinna Gleide: Genau. Viele Teilnehmer haben heute viele innere Bilder. Aber die Bilder müssen bearbeitet und geklärt werden, sonst sind sie zu persönlich. Die Vorerfahrungen, die Neigungen und Abneigungen von uns Menschen, auch Körperliches spielen in dieses Gebiet des Imaginativen eben zunächst stark herein. Da müssen durch das Reflektieren und Abstandnehmen wie immer wiederkehrende kleine Todeserfahrungen gemacht werden. Erst so entsteht ein Erlebnisgebiet im Inneren, wo in einer verlässlichen Art durch Hellsichtigkeit auch Aussagen über die Welt und die Dinge gemacht werden können.
Sebastian Knust: …das mag ja auch zunächst im Widerspruch stehen, da ja die Bilder, die das Objekt betreffen, durch mich selbst erzeugt werden. Aber offensichtlich geht es doch…
Corinna Gleide: Ja aber das ist eine Schulungsfrage. Weil natürlich jeder zunächst mal mehr oder minder mit sich selbst zu tun hat. Geübt werden muss da, zu unterscheiden: Was bin ich eigentlich selber in meinem Inneren Bilderprozess und was sind Bilder, die wirklich eine Aussage über etwas Geistiges, über die Sache treffen?
Sebastian Knust: Du arbeitest also an Pflanzen, an Bildmeditationen wie dem Rosenkreuz, oder auch an Sprüchen. Gibt es außerdem noch weitere Elemente?
Corinna Gleide: Das Seelische, das was man landläufig die Muster nennt, spielt auch eine wesentliche Rolle. Im Anthroposophischen nennt man das die Arbeit am eigenen Doppelgänger. Durch diese Arbeit kann den Teilnehmern einiges über sie selbst, und somit auch über das zunächst Persönliche ihres Zugangs zum Geistigen klar werden. Hier gehe ich von Alltagssituationen aus, in den sich die Einzelnen befunden haben. Hierfür eignen sich z.B. Konfliktsituationen. Die werden in die Erinnerung gehoben. Dann geht es darum, sich davon innerlich zu lösen, so dass es gelingt, sachlich auf das zu blicken, was sich zugetragen hat und was man selbst gefühlt, gedacht, getan hat. Hier kann man dann zu inneren Strukturen und zu Grenzen und Schwachstellen der eigenen Persönlichkeit kommen. Da die Doppelgängererlebnisse heute sehr nah unter der Oberfläche des Bewusstseins sind, gelingt es oft recht spontan, dass Teilnehmer hier zu einem Erleben des eigenen Doppelgängerhaften kommen. Daran kann dann in der Folge verwandelnd gearbeitet werden.
Sebastian Knust: Ein weiterer Aspekt scheint mir bei Deinen Seminaren sehr wichtig zu sein: die Gesprächsarbeit…
Corinna Gleide: Ich mache stark Gesprächsarbeit, weil ich auch die Erfahrung gemacht habe und das melden mir die Teilnehmer auch zurück, dass das wie einen Reichtum gibt. Denn die Teilnehmer lernen nicht nur von mir, sondern auch von dem was die anderen Teilnehmer sagen und berichten. Sie lernen auch an den Erlebnissen, die die anderen schildern. Denn das sind oft Ergänzungen und Erweiterungen des eigenen. Oder sie lernen an den Schritten, die die anderen machen. Das ist etwas sehr Wichtiges. Die Gruppenprozesse- das zeigt meine Auswertung über die Jahre- sind sehr wichtig. Und sie gehen immer besser. Denn die Offenheit und ein wirkliches Vertrauen, das ja wichtig ist, wenn solche meditativen Prozesse besprochen werden, wächst immer mehr. Selbst in relativ großen Gruppen ist das heute möglich.
Ein weiteres Element ist, dass ich es sehr wichtig finde, dass die Teilnehmer ihren eigenen Weg finden. Ich mache die Meditationsarbeit in Gruppen nicht, um ihnen das abzunehmen. Sie sollen sich nicht einfach nur durch mich stützen lassen und durch das Gemeinsame und die Gruppen-Meditation. Sie sollen lernen, ihre Prozesse selbst zu verantworten und aus der wirklichen Eigen- und Ichaktivität zu führen. Ich will, dass die Menschen selbständig werden, d.h. auch, dass sie lernen, selbst zu beurteilen, ob der Schritt, den sie gerade gemacht haben, weiter führt oder nicht. Dafür braucht es ein klares Denken und ein gut ausgebildetes Sich- selbst- Beobachtenkönnen. Das ist die Grundlage, durch die jeder seinen eigenen Weg finden kann.
Sebastian Knust: Du hattest gerade dein Ziel geäußert, dass die Teilnehmenden ihren eigenen Weg finden sollen, sich also nicht gänzlich auf dich beziehen sollen. Ich denke, das hat auch mit einer nachhaltigen Wirkung dieses meditativen Weges zu tun. Kannst du noch ein bisschen genauer schildern, welche Methoden du anwendest, dass dieser lange Weg dann von den Teilnehmenden auch realisiert werden kann?
Corinna Gleide: Ja, das Guruprinzip ist etwas Veraltetes. Jeder Mensch hat seinen eigenen Weg. Um das zu realisieren, ist das Verstehen sehr wichtig. Es geht immer auch darum, etwas verstehen zu lernen. Also auch gedanklich bestimmte Sachen, die man da macht, oder die man innerlich berührt, zu verstehen. Es ist eben der Kopf, der uns doch zu autonomen Wesen macht. Und wenn wir einen eigenen Weg gehen wollen, dann müssen wir verstehen, was wir tun- und zwar auch schon im Vorhinein. Aber auch im Blick auf gerade Erlebtes. Das sind genau die Dinge, die den Guru ersetzen, den man auf diesen Wegen dann tatsächlich nicht braucht. Weil Du danach fragst, was ich konkret tue: Ich mache zum Beispiel immer auch inhaltliche Beiträge. Wir meditieren also nicht nur, sondern ich führe die Teilnehmer gedanklich in bestimmte Ideenzusammenhänge hinein. Das was ich am Anfang des Interviews über den Gral oder das höhere Ich gesagt habe, sind solche Zusammenhänge. Und das sind ja die Kontexte und inneren Landschaften, in denen wir uns konkret bewegen, wenn wir meditieren. Eine Pflanzenmeditation oder eine Rosenkreuzmeditation hat eben sehr direkt mit diesen Kontexten oder Landschaften zu tun. Und das kann man auch beschreiben wie genau.
In diesem Zusammenhang meiner Beiträge greife ich natürlich auch Fragen von den Teilnehmern auf und dann führen wir auch Gespräche zu vielen Fragen. Also die Teilnehmer werden durch ihr Denken von mir in bestimmte Vorgänge hinein geführt. So wissen sie dann auch, wo in der inneren Landschaft sie sich mit einer bestimmten Meditation befinden, worauf sie achten können etc.
Meine Meditationsarbeit ist so angelegt, dass sie durch die Bezüge zum eigenen Denken und zur Selbsterkenntnis durch sich selbst einen starken Bezug zu dem Leben und der Arbeit der jeweiligen Teilnehmer hat. Das ist, wenn das dann mal zur Sprache kommt, für mich eine große Freude. Wenn also Teilnehmer in der Morgenrunde am Anfang eines Tagesseminars, es gibt ja Gruppen, die schon seit Jahren mit mir arbeiten, dann erzählen, wie genau ihre meditative Arbeit an ganz konkreten Stellen in ihr Arbeit mit Schülern an der Schule hineinwirkt. Oder wenn mir jemand erzählt, dass er das Meditieren trotzdem schafft, obwohl er morgens um sieben schon aus dem Haus gehen muss. Und wie er es genau macht, dann trotzdem davor ein meditatives Leben zu führen. Und was für ein Ringen das war und wie es dann letztendlich doch gelingt. Solche Dinge freuen mich sehr. Also wenn das dann so ins Leben hineingeht, und die Widerstände, die das Leben hat, und die Überforderung, in denen die Menschen heute stehen, sich so umwandeln lassen und so gestaltet werden, dass dann sowas möglich wird. So wird wie ein Licht entzündet, das dann Kraft gibt, nicht nur für einen selbst, sondern auch ausstrahlend für andere und für die Zusammenhänge, in denen die Einzelnen stehen.
Im Prinzip kann man seelische Grundhaltungen wie „Gleichmut“ nur im Leben üben. Etwas Spezifisches meiner Arbeit ist, dass ich Dinge, die man nur im Leben üben kann, herein hole in meine Arbeitspraxis. Und das mache ich so, dass ich die Teilnehmer bitte, eine Situation zu erinnern aus ihrem Leben, in der sie „durch die Luft gegangen sind“, oder sich furchtbar aufgeregt haben oder vielleicht geweint haben - also eine Situation, in der sie die Kontrolle über ihren Gefühlshaushalt verloren haben. Wenn sie mögen, erzählt dann jemand auch von der Situation. Und jetzt ist der nächste Schritt dann im Nachvollziehen in dieser Situation und wie es dazu kam, zu beobachten wozu das geführt hat.
Meditationsübungen
Mantra-Übung
„Strahlender als die Sonne…“
Sebastian Knust: Du hast ja bereits einige Übungen beschrieben, z.B. Nebenübungen, insbesondere die Gleichmutsübung, dann die Rosenkreuzmeditation und Übungen an Pflanzen oder Landschaften. Gibt es noch eine Übung, die du an dieser Stelle vorstellen möchtest?
Corinna Gleide: Also es gibt zum Beispiel ein Mantra, das aus den Zusammenhängen der Theosophischen Gesellschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts stammt, und das Rudolf Steiner so ins Deutsche übersetzt hat. Es fängt so an:
Strahlender als die Sonne,
reiner als der Schnee,
feiner als der Äther
– ist das Selbst.
Es ist also ein Mantra, in dem es um das Ich, um das höhere Ich geht. Und um die Art und Weise, wie es im Menschen zu wirken beginnt, wenn es geboren wird. Nun ist es erst mal sprachlich so, also auf der ersten Stufe, wo wir uns dem Mantram gedanklich annähern, dass da von Steigerungsformen die Rede ist: strahlender, reiner, feiner. Strahlend ist ja auch noch ein Partizip- das eigentlich nicht gesteigert werden kann. Man könnte sagen „Strahlend wie die Sonne“- denn in Bezug auf die Sonne gibt es eigentlich nichts in unserer Welt, das strahlender als die Sonne ist; sie ist das strahlendste, was wir in der Welt haben. Also man stößt jetzt schon auf der Gedankenebene an eine Grenze. An die Grenze der sinnlichen Vorstellung. Man wird darauf verwiesen, dass es um ein anderes Licht geht. Etwas, was strahlender als die Sonne ist, kann nur etwas Inneres, Geistiges sein. Ein geistiges Licht. Entsprechendes ist ja auch in Bezug auf Verse 2 und 3 der Fall: denn der Schnee wird als Bild für die Reinheit gebraucht- etwas reineres gibt es schwerlich. Ebenso ist es mit dem Äther- der ja schon nichts Gegenständlich- Sinnliches mehr ist. Was soll feiner sein als er? Auch hier werden wir an die Grenze des Sinnlichen geführt und aufgefordert, sie zu übersteigen. Eine solche gedankliche Klärung wäre Stufe eins in der Erarbeitung des Mantrams.
Stufe zwei ist jetzt, das so Verstandene im Zusammenhang mit den mantrischen Worten zu verinnerlichen. Jetzt geht es darum, innerlich eine Situation zu erschaffen, in einen rein inneren Prozess hineinzufinden, durch den man die Grenze des Sinnlichen übersteigt. Um hier weiter zu kommen, kommen die Herzenskräfte mit ins Spiel. Also etwas, das zunächst äußerlich schien: Sonne, Schnee, Äther, rückt jetzt auf der zweiten Stufe ins Innerliche hinein; es wird ein Ringen und Arbeiten daran, dass da ein inneres Licht leuchtet. Dass da eine Qualität von Reinheit entsteht, die rein durch innere Kraft entsteht. Und genauso mit dem Äther. Hier gibt es nun verschiedene Wege des Umgangs. Der eine führt zum Bereich der Empfindungen, also von Gefühlen, wir sprachen weiter oben schon davon, die selbst gestaltet und geschaffen sind. Die also nicht schon zum Naturhaushalt der Seele gehören. Jetzt kann man entdecken, dass es Empfindungen gibt, die eine Verwandtschaft mit dem inneren Strahlen oder der inneren Reinheit haben. Das ist z.B. bei der Liebe im Sinne der Agape der Fall. Sie strahlt seelisch- geistig. Wenn es gelingt, in diese Empfindung hinein zu gehen, dann lebt die Seele in etwas, das strahlender ist als die Sonne. Reiner als der Schnee ist z.B. die Empfindung der tiefen und reinen Treue. Das ist eine Treue, die diese Reinheit und Klarheit erst erwerben musste. Auch in sie kann man hinein gehen, und dann lebt die Seele in etwas, das reiner ist als der Schnee.
Ein zweiter Weg führt bei einem Mantram über die Worte. Wenn sie durch Gedanken wie geöffnet oder aufgeschlüsselt wurden, kann die Vertiefung der Seele in Worte etwas Ähnliches auslösen, wie das, was ich gerade an den Empfindungen, in die man sich vertieft, geschildert habe. Wortmeditation und Empfindungszugang können sich auch ergänzen.
Auf der 3. Stufe des Übens geht es nun darum, die Bilder und Empfindungen wieder loszulassen. Ein wichtiger Schritt. Also in die Stille zu gehen, nicht weiter diese inneren Gebärden zu vollziehen, sondern in die Stille und in die Leere zu kommen und sich zu öffnen. Für etwas das jetzt noch dazukommen will. Es ist oft so in der Erfahrung, dass das, was da jetzt dazu kommen will, nicht kontinuierlich oder im direkten Bezug kommt. Das kann zu einem ganz anderen Zeitpunkt des Tages oder der nächsten Tage passieren. Wichtig ist, dass da diese Gebärde der Seele hat, dass sie etwas erwartet, etwas haben will, einfach aufhören muss. Deswegen auch diese Übung, die dann zur Inspiration führen kann.
Die zunächst mal höchste Stufe, die 4., die zur Intuition und damit zur Wesensvereinigung führt, übe ich meistens nicht in den Seminaren. Das hat einfach etliche Vorbedingungen; niedrigschwelligere Dinge müssen erst geklärt und erarbeitet werden.
Sebastian Knust: Ist die letzte Stufe ein Zustand, der mit der Zeit wachsen muss, eine heilige Stufe?
Corinna Gleide: Die Intuition und die Wesensvereinigung ist etwas sehr Hohes und Kostbares. Wenn der Zeitpunkt für einen Menschen gekommen ist, dann erfährt er etwas davon. Aber das übt sich auch nicht einfach so, würde ich sagen. Es hat doch eine ganze Reihe biografischer Voraussetzungen. Und ich habe da auch eine Scheu, Dinge, die im Karmischen und Biografischen liegen müssen, zu vermethodisieren.
Sebastian Knust: Vielen Dank für das Interview!
Kontakt
D. N. Dunlop Institut für anthroposophische Erwachsenenbildung, Sozialforschung und Beratung
Dammweg 3, 69123 Heidelberg, Deutschland | Tel +49 (0) 6221 599 74 13
corinna.gleide@dndunlop-institut.de | www.dndunlop-institut.de